Jenni's Begleitungen


11.04.2018 - Sidney

Es ist Mittwoch Mittag, ich nutze meinen Urlaubstag um meiner Wohnung mal wieder einen Frühjahrsputz zu unterziehen.

Das Telefon klingelt. Auf dem Display ist die  Nummer meiner Station. "Hmm...ich hab doch Urlaub, es wird nicht ums Einspringen gehen.", denke ich und behielt recht: Es war meine Kollegin, die mich bat, für eine Akutbegleitung in die Klinik zu kommen. Kurz noch mit dem Oberarzt telefoniert, unter die Dusche gesprungen und schon bin ich los in die Klinik.

 

Ich ging zu der Sternenmama, sie wurde von ihrer Mutter begleitet, und wir unterhielten uns lange. Sie wollten von den Sterneneltern Achim begleitet werden, da sie vor 2 Jahren bereits ihre Tochter zu den Sternen gehen lassen mussten und ihr Mann sehr darunter gelitten hat. Der kleine Sidney ist leider seiner Schwester gefolgt. N. und ich unterhielten uns lange und die Chemie stimmte einfach. ❤ Es ging nicht nur um die Geburt, sondern auch um ihre 11 jährige Tochter und ihren 5 jährigen Sohn an der Hand.

 

In der Zwischenzeit bekam N. immer wieder Tabletten zur Geburtseinleitung. Ihr Mann und ihre Schwester waren an ihrer Seite.

Wir entschieden das N. nochmals untersucht wird und es sah so aus, als würde in der Nacht nicht mehr viel passieren. Also verließ ich gegen 24 Uhr die Klinik und fuhr nach Hause, um ein wenig zu schlafen. Die Kollegen wussten, dass sie mich sofort anrufen sollten, wenn es los geht, oder N. mich brauchte. Um 3 Uhr klingelte mein Telefon, ich machte mich sofort auf den Weg. Es regnete. Doch es war ein einziger Stern zu sehen, das war ein Zeichen. 🌟

 

3:30 Uhr Ankunft in der Klinik. N. entschuldigte sich, dass sie mich hat anrufen lassen. Ich widersprach ihr, und sagte ihr das es total o.k. und ja auch so abgesprochen war. Sie wurde nochmals untersucht, es trat immer wieder Blut aus. Die Ärztin meinte das es gerade, warum auch immer, nicht weiter geht.

 

Ich fragte N., was sie glaubte warum es gerade stoppt?! Sie gab mir eine Antwort die mich sehr berührt hat: "Ich glaube, ich habe auf dich gewartet. Ich möchte dass du die Erste bist, die ihn sieht." Also antwortete ich: "Jetzt bin ich da, wenn du soweit bist, lass los!"

 

N. ist eine sehr redselige und starke Frau. Wir verfielen also wieder in eines unsere tiefgründigen Gespräche. Um kurz nach vier, besprachen wir, dass N. versucht sich zu lösen, ich das Zimmer verlasse, ihr aber verspreche sofort da zu sein, wenn sie mich braucht. Ich verließ das Zimmer, setzte mich zu der Kollegin und unserer Ärztin, die ebenfalls bei uns geblieben sind. Es dauerte keine 2 Minuten da klingelte N. und ich lief sofort hin. Sie glaubte es kam nochmal etwas Blut, so war es. Ich verließ wieder das Zimmer und ging in mich. Ich sprach in meinen Gedanken zu dem Kleinen, sagte ihm, das seine Schwester auf ihn wartet und es ist okay wenn er geht. 🌟 Ca. 15 Minuten später klingelte sie...ich öffnete die Tür, N. schaute mich mit traurigen Augen an und sagte: "Ich glaube er ist da..." Ich schaute nach und da lag er, völlig perfekt. Klein, aber perfekt. Es liefen die Tränen. 💫

 

Im ersten Gespräch bat N. mich, dass ich ihr ehrlich sagen muss, ob sie sich ihren Sohn anschauen kann. Natürlich konnte sie, er war wunderschön.

 

Nachdem N. sich von ihrem Sohn verabschiedet hat, nahm ich den kleinen Prinzen mit, machte Fotos. Gewogen und gemessen legte ich ihn in ein Einschlagdeckchen, bereit für seinen Papa, falls er ihn sehen möchte.

 

N. musste in den OP. Ich fuhr nach Hause. Es war mittlerweile 6:30 Uhr. Ich legte mich ein paar Stündchen hin und gegen 11:15 Uhr klingelte erneut mein Telefon. Sidneys Papa war da und die beiden wollten nochmal, dass ich komme. Ich machte mich erneut auf den Weg, von Müdigkeit keine Spur. Ich begrüßte beide und schnell war klar, dass S. seinen Sohn sehen möchte. Auch hier bat N. mich um eine ehrliche Einschätzung. Auch hier war klar, dass beide nochmal Abschied von ihrem Sohn nehmen konnten und auch sollten. Sie beide waren so stark und ich bewunderte sie so sehr, dass sie diesen Schmerz ein zweites Mal zusammen aushielten. 🌟🌟

 

N. wurde am Nachmittag nach Hause entlassen. Ich bat ihr an mich über Facebook kontaktieren zu können, wenn sie Fragen hat oder ich ihr helfen kann.

Am frühen Abend kam die erste Nachricht, seitdem stehen wir eng in Kontakt.

 

Am 20.04.2018 fand dann die Gemeinschaftsbeisetzung statt, wo auch der kleine Prinz beigesetzt wurde. N. und S. brachten Familie und Freunde mit, ich saß in der Kapelle neben ihnen und hätte ihnen jederzeit meine starken Arme gereicht. Aber sie waren selber so stark und brauchten mich nicht.

 

N. gab mir einen Umschlag und eine Packung Milka Pralinen. Ich versprach ihr, den Brief sofort zu Hause zu lesen. Sie sagte mir noch, dass die Pralinen von ihrem Mann sein, ich freute mich, denn das war seine wundervolle und wertvolle Art Danke zu sagen.

 

Zu Hause angekommen, nahm ich mir den Umschlag und las ihn auf dem Sofa. Es dauerte nicht lange und mir liefen die Tränen...ich war so berührt und so ergriffen von den Worten. "Als wir uns dann das erste Mal unterhalten haben, habe ich direkt gesagt ich brauche weder Hebamme noch eine Krankenschwester, solange du an meiner Seite bleibst. Es war für mich als wärst du dieser Deckel gewesen, der mich davor beschützt wieder in dieses Loch zu fallen."

"Es wird dauern bis der Schmerz vergeht, bis die Tränen wieder getrocknet sind. Aber ich fühle mich nicht mehr alleine, nicht verloren und einfach im richtigen Moment aufgefangen. Danke!"

 

Diese Begleitung war meine erste, seit ich bei den Sterneneltern Achim bin, und ich war soooo unsicher, ob ich alles richtig mache, die richtigen Worte finde, ausreichend Kraft gebe. Die Worte von N. zeigten mir: ja es war alles richtig. Ich lese mir den Brief heute immer noch durch, mir laufen jedes Mal wieder die Tränen und ich fühle ein gewissen Stolz "der Deckel für das tiefe, schwarze Loch" gewesen zu sein. Danke, dass ihr mich euch begleitet lassen habt. ❤